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Was ist ein Sozialplastiker

Brief: an Jean-Luc Aeby
mc 3.3.04

Lieber Jean-Luc

Den Begriff soziale Plastik hat Joseph Beuys mit dem von ihm erweiterten Kunstbegriff geschaffen. Er sagte aus, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Dies verstehe ich so: Jeder Mensch hat mehr oder weniger das Potenzial und die Befähigung ein Kreator zu sein, also eine Schöpfungskraft zu besitzt mit dem er etwas individuelles erschaffen kann. Dies ist möglich, ob der Mensch Maler, Bildhauer, Bauer oder Putzmann ist, ob man als eine Lastwagenführerin, Ärztin, Regierungsrätin, Mutter oder Philosophin tätig ist.

Wir Menschen sind miteinander verbunden und organisiert. Wir gestehen uns gegenseitig Recht zu, teilen miteinander das was von uns erarbeitete und gewonnen wird, und schöpfen davon, dass wir unsere eigenen Bilder und Erkenntnisse machen können und mitteilen. Wesentlich ist, dass die verschiedensten Erfahrungen, Erkenntnisse mit den unterschiedlichsten Ansichten und Qualitäten in der Gemeinschaft eingebracht werden kann. Das bedingt eine eigenständige freie Existenz des Einzelnen.Der Alltag ist nicht einfach gegeben. Unser Zusammenleben ist eine Form die sich ständig im Wandel befindet und von uns Menschen zu gestalten ist. Dieses soziale Gebilde können wir als soziale Plastik verstehen.
Anders formuliert: Durch meinen Beruf und die künstlerische Auseinandersetzung stellte sich für mich bald mal die Frage, warum die Kunst faktisch Dekoration des Alltags bleibt und der Alltag nicht zur Kunst wird. Mindestens die künstlerische Arbeit soll sich mit dem Alltag auseinandersetzen und so setzte ich mich persönlich immer wieder für öffentliche Projekte ein, zum Beispiel für das Breite-Zentrum, den Werkraum Warteck pp, für das Unternehmen Mitte, für das Schwarzpark-Projekt mit dem Gärtnerhaus oder auch für das gemeinschaftliche Kompostieren in der Stadt Basel, was ich als das aufregendste Projekt erachte, weil es heute so selbstverständlich funktioniert und doch absolut utopisch war. Natürlich ist das Ergebnis aus diesen Auseinandersetzungen nicht Kunst, mindestens nicht im traditionellen Sinn. Eher könnte man von sozialplastischen Ergebnissen sprechen. Als Bildhauer kann ich erklären, dass das Plastizieren ein Prozess ist. Man nimmt ein Stück Lehm und trägt den auf das Werkstück, drückt es zurecht, nimmt wieder etwas weg und so entsteht allmählich die gesuchte Form. Im plastischen Prozess ist es wesentlich, dass mit Überzeugung und Inspiration praktisch an die Sache gegangen wird. Dies ist höchst spannend, weil zum Voraus das Ergebnis erahnt werden kann aber nicht feststeht.

Mit einem lieben Gruss

Michele Cordasco